Kontaktpflege im Dauerlauf

Matthias Zimmer (CDU) und Oliver Strank (SPD) wollen das Bundestagsmandat im Westen Frankfurts gewinnen. Wahlkampf machen sie sehr unterschiedlich. Rückschläge müssen beide in Kauf nehmen.

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Die junge Frau guckt verschreckt, als sie Oliver Strank direkt vor ihrer Wohnungstür stehen sieht. „Oliver Strank mein Name, ich möchte Sie gerne im Bundestag vertreten“, sagt der braungebrannte Mann in Jeans, kariertem Hemd und blauem Sakko. Die Frau stutzt, die rechte Hand bleibt fest an der Tür, um sie jederzeit schließen zu können. Schnell beugt Strank den Oberkörper leicht nach vorn und strahlt, als würde allein dadurch die Wahrscheinlichkeit exponentiell steigen, dass die Frau ihm und seiner Partei, der SPD, am 24.September bei der Bundestagswahl ihre Stimme geben wird. Sekunden später hält er ihr ein Faltblatt mit seinem Konterfei hin. Die junge Frau hat sich mittlerweile gefangen. Sie stellt sich breit in den Türrahmen und sagt höflich und mit ausländischem Akzent: „Danke, aber ich darf gar nicht wählen.“

Strank hält so ein Rückschlag nicht auf. Der 38 Jahre alte Rechtsanwalt, SPD-Kandidat im westlichen Bundestagswahlkreis182, sagt: „Ich mach gerne Haustürwahlkampf.“ In den Wochen vor der Wahl durch die Stadtviertel zu ziehen und sich den Bürgern persönlich vorzustellen, das ist eigentlich eine alte Methode. Aber seit dem Erfolg, den Stranks Parteifreund Peter Feldmann mit Hausbesuchen vor der Oberbürgermeisterwahl 2012 hatte, haben die Sozialdemokraten diese Form des Wählerfangs wieder in ihr Pflichtprogramm aufgenommen. Deshalb hat sich Strank auch an diesem frühen Septemberabend mit acht Helfern in Eschersheim auf den Weg gemacht.

Nicht nur schöne Erfahrungen

Sein Konkurrent Matthias Zimmer gerät vor den Chrysanthemen zu 2,90 Euro in Bedrängnis. Der Bundestagsabgeordnete der CDU, der sich in zwölf Tagen gegen Strank durchsetzen und zum dritten Mal das Direktmandat gewinnen will, ist an diesem Vormittag auf dem Höchster Wochenmarkt einer Frau in die Hände gefallen, die wohl kaum die CDU, aber mindestens die AfD wählen dürfte. Zimmer bekommt allerlei Unschönes um die Ohren gehauen. Vor wenigen Minuten erst hat ein ungepflegter Mann den CDU-Tross mit den Worten „Scheiß-Asylantenpartei. Verpisst euch“ zum Teufel gewünscht, nun muss der 56 Jahre alte, massige Zimmer von der Dame mit dem Kurzhaarschnitt zur Kenntnis nehmen, dass „Ihr“ – gemeint sind alle Politiker – „den Flüchtlingen alles in den Hintern pudert, aber für das eigene Volk nix tut“.

Eine Weile bleibt Zimmer ruhig. Dann versucht er es mit Argumenten. Er verrät der sich in Rage geredet habenden Frau, die auch die Pflegepolitik verdammt und Politiker offenbar allesamt für egoistische Nichtstuer hält, dass mittlerweile 90 Milliarden Euro Steuergeld jedes Jahr in das ursprünglich als Umlagesystem angelegte deutsche Rentensystem gepumpt würden. Die Dame will das aber nicht hören. „Immer vor der Wahl, da kommt ihr zu uns und bettelt um Stimmen. Das reicht nicht“, schnaubt sie und zieht ihres Weges.

Die größte Hürde ist die Haustür

Oliver Strank kämpft in Eschersheim mit anderen Hindernissen. In einem Haus mit sechs Parteien drückt er erst die oberen drei Klingeln – doch keiner betätigt den Summer für die Haustür, um ihn einzulassen. Daraufhin drückt er die unteren drei Klingeln – wieder nichts. „Sechs verlorene Wähler“, sagt Strank und trabt zur nächsten Haustür. Die größte Hürde, so hat er es in den Wochen seines Wahlkampfs erlebt, ist immer die Haustür. Hat er erst Zugang zu den Wohnungstüren, kommt er oft auch an die Leute heran.

Matthias Zimmer geht langsam, aber stetig über den Wochenmarkt. Vor acht Jahren hat er noch zwei Paar Schuhe im Wahlkampf verschlissen, mittlerweile kommt er mit einem hin. Während Strank zuweilen von Haustür zur Haustür joggt und die Treppenhäuser im Stechschritt durchmisst, ist Zimmer im Wahlkampf ungern in Eile. Der erfahrene CDU-Mann trägt Hemd, Pulli, schwarze Jeans und könnte, hielte er einen Korb, ohne Irritation am nächsten Gemüsestand einkaufen gehen. Von Hausbesuchen hält er wenig, sofern es sich nicht um Einfamilienhäuser handelt. „Ich habe ein Problem damit, an einer Wohnungstür zu klingeln“, sagt Zimmer. „Da habe ich schon eine Schwelle überschritten, die mir unangenehm ist.“

Erst klingeln, dann klopfen

Mit solchen Gedanken hält sich Oliver Strank nicht auf. Er muss zum nächsten Sechs-Parteien-Haus in Eschersheim. Als er gerade klingeln will, merkt er, dass in ebenjenes Haus, in das er kurz zuvor nicht eingelassen worden war, eine Anwohnerin zurückkehrt. Flugs läuft er zurück und nutzt die Chance auf Zutritt. Auf dem Gehweg hat er vorher noch eine ältere Passantin angesprochen und mit Werbematerial versorgt. Unter anderem übergibt er ihr einen Kugelschreiber: „Da können Sie gleich Ihr Kreuz bei mir machen.“ Die Dame lächelt und geht weiter.

Im Haus klingelt Strank immer zuerst an den Wohnungstüren. Wenn das nicht hilft, klopft er. Lang, kurz, kurz. Öffnet niemand, hängt er einen Zettel mit Informationen an die Klinge; das Teil sieht aus wie ein „Nicht stören“-Schild im Hotel. Eben will er wieder ins Erdgeschoss eilen, da kehrt eine Frau vom Einkaufen zurück. Sie trägt eine Waschmittel-Flasche. „Guten Tag, ich heiße Oliver Strank. Ich würde Sie gerne im Bundestag vertreten“, sagt der Jurist, der wie Zimmer promoviert ist und den Doktortitel, anders als Zimmer, auf die Wahlplakate geschrieben hat. Die Frau sagt: „Wir kennen uns schon.“ Strank schaut verblüfft, dann fällt es ihm ein. Vor ein paar Tagen erst ist er ihr begegnet, als er am Haus ihrer Schwester um Erststimmen warb. Die Frau findet es gut, dass sich der Kandidat vorstellt und sich Mühe gibt. „Er kommt auf mich zu“, findet sie. CDU-Mann Zimmer dagegen hat sie nach eigenen Worten noch nie im Viertel gesehen.

Zimmer hat allerdings auch keine Agentur, die ihm hilft. Strank berichtet, er habe von Profis analysieren lassen, wo es sich besonders lohne, Zeit an Türen zu verbringen, dort nämlich, wo es am einfachsten möglich ist, SPD-Anhänger zu mobilisieren. Als Zimmer davon hört, murmelt er: „Der muss ja Geld haben.“

Auf dem Höchster Wochenmarkt hat Zimmer derweil auch ein paar nette Leute getroffen. Einer grüßt ihn sogar mit „Hallo, Herr Zimmer“, ein anderer ist sehr freundlich, lehnt den Werbeflyer aber mit den Worten ab: „Ich bin Genosse.“ Und eine ältere Dame berichtet, dass sie neulich so einen smarten jungen Mann von der SPD getroffen habe, der ebenfalls ihre Stimme gewollt habe. Da sagt Zimmer: „Ich hoff’ ja mal, die Wahl ist kein Schönheitswettbewerb.“

Quelle:
http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/bundestagswahlkampf-in-frankfurt-15193978.html